Wat Kaal Vam Ebbe Mejnt

Karl vom Ebbe auf dem Schützenfest – Frühschoppen 1980

Warum eine Schwalbe keinen Sommer und ein Zaunkönig kein Schützenfest verhindert; welcher Zusammenhang zwischen Regenwetter und Kirchensteuer besteht; wie Wahlausgänge die Gewaltbereitschaft halbieren können und Freibier Demokraten wanken lässt; warum Verkehrsleitsysteme mit dem landwirtschaftlichen Nebenerwerb unvereinbar sind.

Alle zwei Jahre zur Sommerzeit
hat man ’ne Unruhe im Leib, dann ist es so weit,
wenn die Birkenbüsche an den Straßen wachsen
und die Schützen probieren, ob die Mützen noch passen,
wenn die Frauen mal wieder neue Kleider brauchen
und die Mannsleut stark nach Wermut riechen,
wenn einem die Arbeit so leid ist wie die Pest,
dann feiert Meinerzhagen Schützenfest.

 

Und es ist egal, was in der Welt passiert,
es spielt keine Rolle, wer in Bonn regiert,
egal, wer gerade Bürgermeister wird
und wem das Wasser bis zum Halse steht,
wenn auch mal wieder ein Blitz einschlägt,
so ein Sparkassenskandal vom Heidenreich.
Viel wichtiger wär‘s heute, wir kriegten keinen Regen,
in Meinerzhagen woll‘n sie Schützenfest feiern.

 

Die Schützen, so hörte ich vom *König seiner Mutter,
sie laufen nun immer öfter zum Pastor,
er soll ja den Herrgott wissen lassen:
Es gäbe einen Protestmarsch durch unsere Straßen,
wenn es nicht bald aufhörte zu regnen,
dann wäre Schluss mit den Kirchensteuern, –
und machten die Kiersper noch so finstere Mienen,
zu unserem Feste hat die Sonne zu scheinen.

 

So war das auch schon vor 100 Jahren;
wenn sich die Schützen einig waren,
konnten sie die Welt aus den Angeln heben,
und hohe Herren fingen an zu beben.
*Manfred Luda hat dies schon lange erkannt,
er sprach noch gestern mit dem *Strauß und dem *Brandt.
Statt ständig zu wirbeln, zanken und streiten
sollten sie sich an uns mal ’ne Scheibe abschneiden.
Wenn das nicht aufhört, dann könnt es passieren:
Die blauen Kittel kommen nach Bonn marschiert,
sie müssten damit rechnen, wir wären nicht faul,
dann kriegten sie beide was auf’s Maul.
*Unser Bürgermeister hat das auch gehört
und gab uns allen den guten Rat,
damit zu warten bis nach den Wahlen,
dann bräuchten wir sicher bloß einen verdreschen.
Ich meine, dass ich damit nicht übertriebe,
hier haben wir sie – die Bürgerinitiative.

 

Statt Krach zu schlagen in den eigenen Reihen
und sich mit seibernden Zungen anzuspucken,
ist es kaum zu glauben, was man hier sieht,
dass alles an einem Stricke zieht.
Hier wird drei Tage zusammen gefeiert
und gemeinsam der Pott mit Gulasch probiert,
hier kommen sie zusammen und ihr Herz ist offen
und sie sind am Ende gemeinsam besoffen.
Ich seh keinen Schützen, der Anstalten macht,
dem nicht das Freibier vom König schmeckt. 

Hier oben ist das Volk auch auf holprigen Brettern
mit sich selber, mit dem König und der Regierung zufrieden.
Es kommt immer drauf an, dass der oben steht weiß,
wie er am besten zu den Leuten steht.
*Unser König weiß das, der sagte soeben,
mit der größten Runde in seinem Leben
will er die Jungen und auch die Alten 
heut’ morgen noch lange in Stimmung halten.
Denn er weiß, dass es böse in den Knochen zieht,
wenn man tagelang sein eigenes Bett kaum sieht.
Noch als König fühlt er die Blasen an den Zehen,
die ihm als Schütze im Gedächtnis geblieben.
Darum tut er als Monarch, was er kann,
und kümmert sich auch um jeden Mann;
und das bringt ihm so viel Sympathie,
sie sollen sich noch wundern mit der Demokratie.
Beseht euch das doch, wer ist denn Schuld,
dass viele die nicht besehen können?
Bekamest du einmal in all diesen Jahren,
wenn du aufs Amt kommst, mal ein Bier und nen Klaren?
Stand dann denn einmal ein Amtmann in der Tür,
wenn du einen Haufen Gewerbesteuer brachtest
und tröstete er dich ...: Du bist müde in den Beinen,
hier haste fünf Mark und nun trink dir erst mal einen?
Sie sitzen ja alle dermaßen steif,
du kriegst ja nicht mal Tabak für die Pfeif’.
Mir ist es noch nie in meinem Leben passiert,
dass ich eine Freikarte kriegte für’n *Karl Wirth.

Es war nun so etwa vor drei, vier Wochen,
ich hatte es doch beinahe ganz vergessen,
ich musste nötig in den Stall rein kippen
ein Bündel Stroh für meine Ziegen.
Den hole dir, so dachte ich, das geht dann auch fix,
oben auf Hahnenbecke bei *Asbecks Fritz.
So war das dann auch, gesagt und getan,
er hatte in der Scheune noch ne Schubkarre stehn,
mit dem größten Bündel, den es auf Hahnenbecke gab,
zog ich damit nach Meinerzhagen runter.
Mir kommt der Gedanke, es ist Mittagszeit, 
durch das Dorf bis ins Ebbe ist es doch noch sehr weit,
und die Schubkarre, die drückt so schwer in den Beinen.
ich pausier’ in der Dränke und trink mir mal einen.
Wie ich mir das so durch den Kopf gehen lasse
und schiebe dabei durch die Bahnhofstraße,
da stehe ich doch, mir wird Angst und Bange,
mit meinem Stroh in ner Autoschlange.
Hinter mir steht, was für’n Malheur,
mit seinem Fuhrwerk ein Spediteur.
Ich glaube, der Kerl, der hat doch ne Macke,
der fährt mir drauf und dran in die Hacke.
Und vor mir, ich kann kaum noch was sehen,
da steht *Uwe Mersch mit seinem Design.
Das einzige, was man hören kann,
ist ein Schimpfen und Fluchen, woher kommt das denn,
da ist doch sicher was Schlimmes passiert,
wodurch wär denn sonst die Straße blockiert.
Nun geht’s wieder los, wir fahren einen Streifen,
dann steht das Werk wieder, es ist doch zum Piepen,
ich kann nicht mal meinen Priem ausspucken,
so eng stehe ich zwischen den Autoreihen.
Ein Dutzend Mal auf und auch wieder ab,
in dieser Zeit wär ich sonst bald auf Scherl.
Dabei steigt mir das Blut in den Kopf,
und auf einmal sehe ich das große Stopp.
Meinerzhagen bekommt nun in diesen Tagen
mit eine der schönsten Ampelanlagen,
die sie jemals haben bauen lassen,
und nicht nur für die neuen Straßen.
Die regelt, was ja so wichtig wär,
auch sonst in Meinerzhagen jeden Verkehr.
Bloß wer vor so einem Ding mit der Schubkarre steht
und nicht recht weiß, wie es weiter geht, 
der kann so wie ich noch im Stehen, 
hierbei doch stark ins Schwitzen geraten.

In diesem Moment denke ich an die Zeit,
und wenn man rechnet, ist es noch gar nicht so weit her,
dass die ersten drei sich zusammen setzten
und den Führerschein für die Schubkarre machten.
*Emma Busch, *Ötte Wolff und auch *Wevers Otto,
die fuhren schon damals unter dem Motto:
'Hast du überhaupt keine Lust zum Ziehen,
dann kauf dir ne Schubkarre, dann kannst du schieben.'
Sie hatten die Lizenz und fuhren für alle:
Ein Büschel Heu für die Ziegen im Stall,
Wolffs Otto schob mit Besen und Schüppe
den Straßendreck auf Bichtemanns Kippe.
Er war, wenn man das mal richtig besieht,
ein *Edelhoff der damaligen Zeit.
Und Wevers Otto, der fuhr auch spät –  
jahraus, jahrein ohne Steuerkarte – 
die Kartoffelschalen nach Dürhölten rauf,
und das noch oft mit `nem dicken Kopf.

Über so was, wie ich hier muss stehen und warten,
konnten die vor Jahren bloß darüber lachen.
Wenn mir einer gesagt hätte, es kommt die Zeit,
dann kommst du mit deiner Karre nicht mehr weit,
du fährst nicht mehr, wo du fahren willst,
und mit deinem Schieben ist endgültig Schluss. –
Dem hätt’ ich gesagt, er soll das begreifen,
für mich hätte er sie nicht alle am Streifen!

So stehe ich denn hier mit meinen Stroh,
und fühle mich doch gar nicht so richtig froh. 
Hinter mir hör ich ein Tuten und Schreien,
ich habe schon zweimal das Grün übersehen.
Genau dann, als ich in die Hände spuckte
und meinte, jetzt komm ich an die Reihe,
kaum ist meine Schubkarre dann richtig im Lot,
dann seh ich da oben schon wieder rot.

Das habe ich nun drei- und auch viermal probiert,
und jedesmal ist dann die Sache verloren,
das Ganze läuft nun nicht mehr mit Maß:
von hinten der Stau auf der Bahnhofstraß',
und von links und von rechts, das hörte nicht auf, 
die zeigten mir immer mit der Hand an den Kopf,
ich riß mich zusammen in meiner Not,
und tat einen Satz – und das war bei Rot.

Was dann noch passierte, ging ziemlich fix,
vom Bündel Stroh blieb so gut wie nichts,
meine Schubkarre flog in tausend Stücken
unter dem Wagen vom „Michael Brücken“.
Ich selber habe nichts mitbekommen,
der Rest blieb auf der Straße liegen.
Ich glaube aber, ich werd’s noch erleben,
dass eines Tages der Blitz würde einschlagen,
dann hätten wir Ruh’ mit den Ampelanlagen
und es liefe dann so wie in alten Tagen.

Wenn das Fest nun heute zu Ende geht
und in zwei Jahren dann das Große ansteht,
dann können wir sagen, und auch unsere Kinder (Blagen),
es läuft mal wieder – wie in alten Tagen.

Fritz Sträter bei seinem "Karl vom Ebbe"- Auftritt 1980
Fritz Sträter bei seinem "Karl vom Ebbe"- Auftritt 1980