Wat Kaal Vam Ebbe Mejnt

Karl vom Ebbe auf dem Schützenfest – Frühschoppen 1964

Was in Meinerzhagen die Laune hebt und den Blick weitet; warum Karl vom Ebbe von der neuen Verwaltungsspitze beeindruckt ist und er Städtepartnerschaften schätzt; womit Meinerzhagen Stadt wurde und was weiterhin fehlt; was Meinerzhagener Altertumsforscher über und unter der Oberfläche treiben.

Alle zwei Jahre, mit der gleichen Frische,
sitzen wir zusammen an einem Tische,
und bei allen läuft das Bier durch die Kiemen,
und am Hintern haben wir alle die selben Striemen.
Im Herzen aber, das hört man an der Zunge,
scheint bei uns Schützen drei Tage die Sonne.
Ich habe diesen Morgen noch keinen Griesgram gesehen,
noch nicht mal die Lehrjungen von der Polizei.
Das war schon früher so, auch bei den Alten,
hier hat sich noch nie eine Amtsmiene gehalten.
Das alleine macht es das Schützenfest wert,
dass für ein paar Tage das Nörgeln aufhört.
Heute Morgen ist keiner ohne Freibier geblieben,
und alle sind sie mit der Regierung zufrieden.
Du wirst es sehen, übers Meinerzhagener Schützenfest
bringen sie dieser Tage sicher noch einen „DM-Test“.
„Sehr zu empfehlen“ steht dann drunter so nett,
für Leute, die noch Freude am Leben haben.
Und haben wir sie denn nicht, wenn wir hier oben stehn
und lassen unsere Augen über Meinerzhagen gehn?
Was würden die wohl sagen, könnten sie es noch sehen:
der dicke Zuckerbäcker, Vahrst Hugo und der alte Schrein?
Wo heutzutage ganze Völker vor der Fernsehkiste liegen,
da pflockten sie früher ihre Schafe und Ziegen.

 

Wer dachte damals, wenn man über ’n Mönchspfad lang stieg,
dass Meinerzhagen auch noch eine Luftflotte kriegt.
Für jeden ist es nicht einfach, mal über den Wolken zu treiben 
und dann wieder mit den Beinen auf der Erde zu bleiben.
Wer will, kann sich auch mit `nem Engelchen vergleichen 
und die Expansion im Dorfe von oben begucken.
Beim Fliegen hat man ’n Weitblick durch die einzelnen Luken,
den könnte man oft hier unten so gut gebrauchen;
denn Meinerzhagen ist ungeheuer auseinander gegangen
und soll – so Gott will – nicht auf der Stelle treten.

Hier sollten wir aber auch mal an die Leute denken,
die unser Meinerzhagen mit Kawumm durch die Jahre lenken.
So ab und zu, es brauchte nicht viel zu sein, 
da kann man denen ruhig auch mal ein „Dankeschön“ sagen;
denn ich weiß, nicht immer war es ein Zuckerschlecken
für uns dann wieder was auszuhecken.
Es bleibt aber wie in jeder Generation,  – 
was ist das alles ohne die Opposition.
Und wer meint, es wär’ besser, man setzte sie kalt,
der schlabbert die Suppe ohne Pfeffer und Salz.

Kürzlich da ließ man uns informieren:
Wir haben einen neuen *Amtsdirektor am Regieren.
Ich dacht mir, der bleibt mal ne Zeitlang dran;
am besten, du siehst dir diesen Kerl mal an.
Ich brauchte bloß bei ihm anzuklopfen,
er ließ mich noch einmal die Pfeife stopfen.
Kaum hatte ich mich auf einen Stuhl gesetzt,
da redete der Amtsdirektor schon mit mir platt.
Da wusste ich, wo der Wind hingeht!
Hier sitzt einer, der unsere Sprache versteht.
Was sollten wir auch mit nem wildfremden Mann,
der noch nicht mal richtig „Guten Morgen“ sagen kann.
Er erzählte mir nichts von der großen Welt,
aber die kleinen Sachen kosten ja auch noch Geld.
Ich sah die Rechnung weiß auf schwarz,
die Amtsvertretung hat kürzlich einen Tanzkursus gemacht.
Den Walzer kannten schon die älteren Herren, 
nach einer Flöte tanzen – das müssen sie noch lernen.
Für den einen oder anderen ist das noch neu,
der hüpft dann ab und zu aus der Reih’.
Im Großen und Ganzen haben sie sich gefangen – 
man darf aber auch nicht zu viel verlangen.

Wenn man das so bedenkt gegenüber früher,
kommen sich die Leut heut immer näher:
Wer hatte denn damals ein großes Verlangen
einen Klüngel mit IJsselmuiden anzufangen?
Ab und zu fraß man `n holländischen Matjesfilet,
und kein Teufel wusste was von der EWG.
Darum bleibt – und das ist auch richtig –
sich Kennenlernen ganz besonders wichtig.
Da gehen einem dann schon die Augen auf,
und man fühlt auch das Brett vorm eigenen Kopf. –
Nach ner Zeit kam diesen Amtsleuten die Idee:
und besuchten die IJsselmuidener Hautevolee;
nicht dass man nur Milch trank und Kuchen aß,
es war auch letzten Endes noch `ne Studienfahrt.
Da ging es unsern Leuten vor den Augen rund,
wie die mit dem Käse umgehen konnten,
und bekamen auch gesagt, wie man es hinkriegt, 
dass unser Gemeindekäse dann und wann nicht so riecht.

Vor einem halben Jahr wurde es in der Zeitung gesagt:
Meinerzhagen wird nun bald eine richtige Stadt.
Was man dazu braucht, man weiß es ja,
das ist so ziemlich alles da:
ein Rathaus, ein Park und ein Haufen Polizisten,
Feuerwehr, Gesangverein und ein paar Kommunisten,
Schulmeister, Skatklub und Kirmesbuden, 
Postamt, Apotheken und einen weisen  Juden,
Stadion, Tennisplatz und Bahnmeisterei,
Saufschnuten, Halbstarke und eine Schnapsbrennerei,
und Leute, die auf großem Fuße leben,
und einer, der bloß noch den Kuckuck klebt,
eine Fußballmannschaft, die hoch aufsteigt,
und ein Publikum, das den Schiedsrichter tüchtig vertrimmt.
Dann noch `ne große Schanze, so Gott will mit Matten,
damit springt man dann über seinen eigenen Schatten.

Nur eine Bedürfnisanstalt, da wollen wir nicht von sprechen,
das liegt uns doch oft schwer auf den Nieren.
Das Bauamt weiß kaum die Fundamente zu schmeißen,
dann kommt schon wieder ein anderer und hat was zu ...  – ja.

Jeder Stadt aber – und das findet man überall wieder –,
hat letzten Endes ein Recht auf eine alte Mauer.
Ich marschierte dieser Tage so rechter Hand 
vom Uhrmacher *Schulte runter zur Deutschen Bank.
Unterwegs hielt ich vor dem Steinhaufen inne,
oben drauf standen Touristen, direkt vor der Tinne.
Die seien vom Deutschen Naturschutzverein
und wollten sich die alte Stadtmauer von Meinerzhagen besehn.
Ich habe ihnen erzählt, an dieser denkwürdigen Mauer
gäb es bald für unsere Stadt die Gründungsfeier.
Wenn sie das Schild nun noch aufstellen auf dem Trottoir:
„Vorsicht beim Durchgang – Steinschlaggefahr!“ –
dann kann nichts passieren! Und wäre es nicht nett,
wenn wir im Dorf ein Stück von vorgestern hätten?

Wie man so hört in der letzten Zeit,
wird viel über „Altertumsforschung“ gesprochen.
Der eine schreibt Bücher, mal dünn, mal ein Trum,
die anderen wühlen unter der Erde herum.
Ich ziehe meinen Hut, so tief ich kann,
vor so einem edlen Forscherdrang. –
Im Keller beim *Öser war es gelungen,
dort hat man tatsächlich ein Labyrinth gefunden.
Zu Beginn ging es auch ziemlich glatt,
der Anfang wurde mit einem dicken Hammer gemacht.
Kaum als das Loch richtig offen war,
war auch schon der *Direktor von der Amtssparkasse da. –
Es war mir schon komisch, weil er das nicht braucht,
warum einer wie er unter die Erde kraucht.
Hintenherum hörte ich so dies und das,
er hätte sich schon lange in den Kopf gesetzt,
mit Hilfe von unterirdischen Gängen
die Spar- und Darlehnskasse von unten in die Luft zu sprengen.
Hätten sie sich nicht in der Richtung vertan,
wäre *Johanns Fritz mit seinen Kröten über’n Kirchturm gegangen.
Wir wollen da auch weiter nicht groß drüber reden,
sonst ist das Gequatsche noch schnell unter den Leuten. –
Eines aber ist wahr und nicht bloß geplappert,
beim *Höller haben gehörig die Töpfe gewackelt.
Im Gemüseladen war Endstation,
nun fragt man sich – wohin wollte die Expedition?
Man hört nichts mehr, das war ne Blamage – 
oder war es vom „Kaiser’s Kaffee-Geschäft“ `ne böse Sabotage? 

So, und wenn wir nun wieder vom Schützenplatz gehen,
wollen wir froh sein, dass wir noch mitten im Leben stehen
und der Herrgott noch oft die Hand drüber hält,
sonst sähe ich schon nichts mehr von dieser Welt. –
Solange aber das Lachen aus den Augen scheint,
nehmt noch einen – noch ist es Zeit.

Wilhelm Vogel alias Karl vom Ebbe 1964
Wilhelm Vogel alias Karl vom Ebbe 1964